› Hiob - Die Frage nach dem Leid

1.0 Einleitung

Das Buch Hiob zählt zu den großen Werken der Weltliteratur. Ein Grund dafür ist sicher die dichterische Kraft der Sprache. Vor allem liegt seine Bedeutung darin, dass es allgemein-menschliche Fragen und Erfahrungen formuliert, die immer gültig sind. Es handelt sich um eine Lehrdichtung, in der Personen als Vertreter typischer Haltungen und Meinungen vorkommen.

Die in Prosa gehaltenen Rahmenhandlung geht auf eine alte Volksüberlieferung von einem vorbildlichen, frommen und gerechten Mann zurück. Der Hauptteil ist in dichterischer Form verfasst und besteht aus der Auseinandersetzung mit dem im alten Israel verbreiteten Vergeltungsglauben, nach welchem es dem wirklich guten Menschen in seinem Leben gut, dem Sünder dagegen schlecht ergeht.

1.1 Handlung

1.1.1 Prolog im Himmel

Die Rahmenhandlung der Geschichte spielt im Himmel: Die Gottessöhne kommen zusammen, um vor den Herrn hinzutreten. Hinter diesem Bild steht die Vorstellung einer Ratsversammlung himmlischer Wesen, die den Hofstaat Gottes bilden. Unter ihnen ist auch Satan.

Als der Herr ihn fragt, woher er komme, antwortet dieser: »Die Erde habe ich durchstreift, hin und her.« Sogleich erkundigt sich Gott bei Satan, ob ihm bei dieser Gelegenheit nicht auch Hiob aufgefallen sei. Seinesgleichen, freut sich der Herr, gebe es nicht auf der Erde, so untadelig und rechtschaffen: »Er fürchtet Gott und meidet das Böse.«

Der Satan teilt Gottes Begeisterung für Hiob nicht ganz: »Geschieht es ohne Grund«, fragte er, »dass Hiob Gott fürchtet?« Er weist darauf hin, dass Gott Hiob mit Wohlergehen und Reichtum gesegnet habe. Würde er ihm dies alles nehmen, behauptet Satan, würde Hiob den Herrn gewiss verfluchen. Gott nimmt die Herausforderung an und gestattet ihm, Hiobs ganzen Besitz wegzunehmen. Man werde sehen, was geschehe.

1.1.2 Hiobs Haltung im Leid

Die Erzählung verlässt nun die himmlischen Sphären und wendet sich Hiob zu. Er ist ein reicher Mann im Lande Uz, hat sieben Söhne und drei Töchter sowie eine große Menge Vieh. Die Bibel beschreibt ihn als echten Nomadenfürsten, der an Ansehen alle Bewohner der Ostens übertrifft. Das Land Uz ist historisch nicht bekannt, gemeint ist vermutlich die Gegend von Edom südlich des Toten Meeres.

Eines Tages kommt ein Bote zu Hiob und meldet ihm, ein Teil seiner Herden sei von räuberischen Nomaden gestohlen worden. Kaum ist diese Nachricht vorgetragen, erscheinen zwei weitere Boten und berichten, dass der restliche Teil der Herden ebenfalls geraubt und durch Feuer vom Himmel verzehrt sei. Als nächste Katastrophenmeldung kommt die Mitteilung, soeben seien alle Söhne und Töchter umgekommen. Ein gewaltiger Wind aus der Wüste habe das Haus einstürzen lassen, in dem sie zusammensaßen und aßen.

Zum Zeichen der Trauer zerreißt Hiob sein Gewand. Dann fällt er zur Erde nieder und betet: »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.« Trotz allen Unglücks kommt kein gotteslästerliches Wort über die Lippen des schwer geschlagenen Mannes.

1.1.3 Weitere Schicksalsschläge

Einige Zeit danach tritt Satan im Himmel erneut vor den Herrn. Und wieder lobt Gott Hiobs Frömmigkeit. Obwohl sich sein Schicksal so grausam gewendet habe, halte er an seiner Rechtschaffenheit fest. Doch Satan gibt nicht auf: Wenn man zur Abwechslung einmal an Hiobs Gebein und Fleisch rühren würde, dann sei es aus mit seiner Frömmigkeit. Der Herr erklärt sich auch mit dieser Probe einverstanden und gestattet es Satan, Hand an Hiob zu legen. Nur sein Leben müsse er ihm lassen.

Satan schlägt den Leidgeprüften nun mit bösartigen Geschwüren vom Scheitel bis zu den Fußsohlen. Hiob setzt sich in einen Aschenhaufen und schabt sich die juckende Haut mit einer Scherbe. Zu allem Überfluss macht ihm noch seine Frau Vorhaltungen wegen seiner Frömmigkeit. »Lästere Gott und stirb«, empfiehlt sie ihm zynisch. Doch Hiob bleibt seiner Gesinnung treu.

1.1.4 Disput mit Freunden

Drei Freunde besuchten ihn, die von seinem Unglück gehört haben. Sie wollen Hiob trösten. Als sie ihn sehen, sind sie über seinen Zustand so sehr entsetzt, dass sie sieben Tage und sieben Nächte vor Erschütterung kein Wort sprechen können. Doch dann entspinnt sich eine rege Diskussion.

In diesem Hauptteil vertreten die drei Freunde in langwierigen Erörterungen den Standpunkt der traditionellen Weisheitslehre. Nach deren Ansicht muss es in Schicksalsfragen einen Tat-Ergehen-Zusammenhang geben. Sie gehen davon aus, dass Hiob gesündigt haben musste, möglicherweise auch unbewusst. Der Disput nimmt zunehmend schärfere Formen an, Hiob verteidigt sich immer leidenschaftlicher. Er beharrt strikt auf seiner Untadeligkeit und fordert sogar Gott heraus, ihm eine Schuld nachzuweisen.

Nachdem sich diese Diskussion in drei Gesprächszyklen mit Reden und Gegenreden entsponnen hat, tritt der junge Elihu hinzu. Er unterstützt die drei Freunde, ohne die Gegensätze zwischen den Diskutanten überbrücken zu können.

1.1.5 Die Wende zum Guten

Dann aber kommt es zu einer entscheidenden Wende: Gott selbst erscheint in einem Gewittersturm und spricht zu Hiob. Er kündet ihm von den Wundern und der Weisheit seiner Schöpfung. Da erkennt Hiob seine Vermessenheit, mit Gott rechten zu wollen: »So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind ... jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche.«

Damit ist die zentrale Erkenntnis des Hiobbuches formuliert: Dem Menschen ist der Einblick in das Handeln Gottes verwehrt, er kann sich diesem nur demütig unterwerfen. Hiob wird geheilt, bekommt wieder zehn Kinder, sogar doppelt soviel Besitz wie zuvor und kann noch in einem langen Leben die Geschenke des Herrn genießen.

2.0 Zur Bedeutung des Hiobbuches

2.1 Interpretation

Das Leid bleibt ein ungelöstes Rätsel, das sich aller vernünftigen Erklärungen entzieht. Aber durch das Leid stößt Gott neu zur Glaubensentscheidung an. Wer in Leid gerät, muss nicht die Schuld bei sich suchen. Gott rechtfertigt unsere Klage im Leid. Wir dürfen Gott alles sagen, ohne uns dafür entschuldigen zu müssen. Doch wir sollen Gott Gott sein lassen und aufhören, die Ursache des Leides zu ergründen. Gott wendet das Schicksal Hiobs. Er mehrt seinen Besitz, schenkt ihm noch sieben Söhne und drei Töchter. So ist das Buch Hiob ein Hoffnungsbuch für alle, die an ihrem Leiden zu zerbrechen drohen.

2.2 Weiterverarbeitung des Stoffes

Die bekannteste literarische Verarbeitung des Hiobstoffes enthält Goethes Drama Faust. Es geht auch hier um eine Wette, die Gott mit dem Teufel abschließt. Deren Gegenstand ist aber diesmal nicht die Untadeligkeit des Menschen, sondern sein Erkenntnisstreben. Der Teufel, der hier den Namen Mephistopheles trägt, behauptet, dass er den Doktor Faust durch allerlei Zerstreuungen von der Suche nach höherer Erkenntnis abbringen kann. Auch diese Geschichte wird mit einem Prolog im Himmel eingeleitet, in dem Gott und Mephistopheles um Fausts Seele wetten.

Dorothee Wiltsche (Mai 2003, 2AKO)

Quellen: Die Bibel (Einheitsübersetzung und Übertragung von Anselm Grün); Christian Eckl, 50 Klassiker Bibel - Die bekanntesten Geschichten des Alten Testaments, Köln 2001, 244-249; Dr. Ursula Struppe, Theologische Kurse (Skriptum).